Zuckerbabys
Leseprobe

Broschur
204 Seiten
11,90 €(D)
ISBN 978-3-930559-71-8

Verfügbarkeit: Nicht Lieferbar

Zuckerbabys

Kersty Grether

Nach wie vor bei Ventil erhältlich: Die Originalausgabe von Kerstin Grethers beeindruckendem Debütroman.

»Zuckerbabys« handelt vom aufregenden – und aufzehrenden – Leben in der heutigen Casting-Gesellschaft. Alles dreht sich um eine Horde abenteuerlustiger Mädchen, die mehr wollen, als das Leben auf den ersten Blick bereit ist herauszurücken.

Sonja ist besonders hungrig, denn sie will Sängerin werden. Aber da hat sie nicht mit der sadistischen Spannkraft der modernen Medien-Bilder gerechnet. Tag und Nacht hauen sie ihr die bildhübschen, künstlich-mageren Sängerinnen nur so um die Ohren. Bis Sonja taub ist für die Musik und statt Liedern Bilder singt. Bis Sonja durch alle Phasen einer Magersucht gerissen wird.

Eindringlich, lakonisch und voller Humor beschreibt Kerstin Grether die Träume und Albträume ihrer Figuren. Schildert in sehnsüchtig-elegischen Monologen den Schmerz des Erwachsenwerdens, die Suche nach Liebe und Freundschaft, nach Schönheit und Ausdruck. Und gibt in gepfefferten Dialogen Antworten auf Fragen, die leider immer noch tabu sind. »Zuckerbabys« ist aber auch ein Buch über und in der Sprache von Popsongs.

Judith Holofernes (Wir Sind Helden): »Zuckerbabys dürfen selbstverständlich keinen Zucker essen – sonst werden sie zu groß und unniedlich. Und Träume, besonders Pop-Träume, dürfen nur die Niedlichen leben. Das weiß Sonja, und weil sie nun mal singen will, hungert sie sich klein, um endlich groß sein zu dürfen. In einer euphorischen Sprache, die so bissig, sprunghaft und schwebend sein kann wie verhungernde Gedanken, erzählt Kerstin Grether von einem unserer populärsten Albträume.«

Dirk von Lowtzow (Tocotronic): »Ein wundervoll poetisches Buch für alle, die Humor haben und trotzdem Ernst verstehen. Es ist ein Buch für alle.«

»Ein mitreißendes Buch aus der Welt der hungernden Frauen.« (Sven Regener)

Die Presse

»Kerstin Grether bleibt, wie ein neidischer Kollege einst am Rande der Frankfurter Buchmesse murrte, ›die Susan Sontag der deutschen Popkritik – ernst beim Spaß, aber nicht halb so langweilig wie wir anderen, die das auch dauernd versuchen‹.« (Dietmar Dath in der FAZ)

»Ein Buch, das wirkt wie guter Pop: direkt in den Bauch.« (Amica)

Leseprobe

Der Waschsalon grüßt wie ein überdimensionales Toilettenhäuschen. Ich rolle die Tüten von den Händen und schaue automatisch nach oben zu den Fernsehern. Oh, das »Beautiful«-Video von Christina Aguilera! Inmitten all der Gestrandeten sticht ihre Schönheit wie eine aufgehende Morgensonne ins Herz. Dieses Haar aus Meer und Weizen. Und ein Milch-und-Honig-Teint. Hach, zum dahinschmelzen. Und trotzdem hat sie noch ein knödelndes Maß an Mitgefühl für die Hässlichen und Schwächlichen dieser Welt übrig. Hätte sie sich sonst einen ganzen Außenseiter-Park ins Video geholt? Die Bilder von den ausgemergelten Mädchen und den traurigen Transvestiten machen mich ganz kribbelig. Danke Christina, dass du uns erzählst, wir wären alle gleich schön.
Maschine 1, 2 und 3 sind noch frei, automatisch trenne ich die 95- von der 30-Grad-Wäsche und ertappe mich dabei, wie ich ein paar Zeilen mitsinge:
You are beautiful, no matter what they say … so don’t you bring me down today.
Noch die 10 Cent für den Weichspüler dazu, und ich drücke das schlangenähnliche Start-Symbol. Das Wasser springt mit einem kleinen Seufzer der Erleichterung los – verdammte Bildersucht, ich schau’ schon wieder streng nach oben. Da läuft immer noch der »Beautiful«-Schocker. Eigentlich schön, dass Christina in einem großen, kahlen Raum sitzt. Die grünbraun abgebröckelten Tapeten – wie in einem dieser sanierten Apartments, die man unten am Hafen für viel Geld mieten kann. Und sie gurrt die Töne aus sich raus, als ob sie selbst ganz viel Raum und Hafen gebraucht hätte, um so Aura zu werden, wie sie heute ist. Warum schüttelt sie jetzt so nachdenklich den Kopf? Stimmt was nicht? Ach, verdammt, soll die blöde Kuh doch den Kopf schütteln. Ist ja wahrscheinlich auch nur eine dieser modischen Grinsebacken, die einen früher in der Wirtschaftsschule immer mit Schminktipps belästigt haben: »Wie kann man nur mit so einer ungesunden Gesichtsfarbe herumlaufen? Wenn ich so blass wäre wie die, würde ich doch wenigstens Make-up benutzen. Hier, probier mal!«
Genau genommen hat es mit Make-up auch wirklich immer besser ausgesehen.
When I wake up in my Make-up. Ich komme immer mehr dahinter, dass die Kopfschüttler von der Wirtschaftsschule Recht hatten. Muss mir ja nur die Kollegen in der Agentur anschauen, wie sie kunstlichtgestresst an ihren Computerburgen sitzen – und noch ein Bild und noch ein Bild und noch eins bearbeiten. Da macht es doch Sinn, sich demnächst auch mal die übernächtigten Augenringe wegzuschminken, sie gar mit Augentrostextrakt zu beruhigen oder mit lauwarmem Kornblumentee – wie man das immer in den Frauenzeitschriften liest. Das wär’s doch: mal ohne Augenringe durch die Wildnis zu schwirren.
Die Videos leuchten schon wieder, als wären sie aus bunten Badezusatzkügelchen gemacht. Und alle Menschen haben schöne große Augen und schöne große Münder. »Und wenn ihr euer Leben gerade nicht im Gri≠ habt, lasst den Kopf nicht hängen. Ihr wisst doch: Kommt Zeit, kommt Rat«, sagt die kleine, drahtige Moderatorin.
Ha! Noch zwanzig Minuten. Die Kleider schleudern schon. Da packt mich die Vorfreude, wie neu die Sachen alle sein werden. Dann schmeiße ich sie zurück in die Tüten und mache, dass ich rauskomme. Das Gewitter hat sich auch verzogen.

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